Vidal Wagner

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Zertifizierungen zur Nachhaltigkeit im Bauwesen
Les certificacions en materia de sostenibilitat en construcció

Nachhaltigkeit ist ein Konzept, das im Bereich der Architektur zunehmend an Bedeutung gewonnen hat, insbesondere angesichts der ökologischen und sozialen Herausforderungen, mit denen die Welt heute konfrontiert ist, so dass Gebäude entworfen und gebaut werden müssen, die die negativen Auswirkungen auf die natürliche und menschliche Umwelt minimieren. Den Einsatz von Energie- und Materialressourcen zu optimieren, ist keine Option mehr, sondern eine Notwendigkeit geworden. Allerdings zielt Nachhaltigkeit auch darauf ab, die Lebensqualität der Menschen, die in der gebauten Umwelt leben oder diese besuchen, zu verbessern. Zudem ist  Partizipation und soziale Verantwortung zu fördern; diese Aspekte sind in der Vielzahl der derzeit verfügbaren Zertifizierungen für Nachhaltigkeit noch nicht umgesetzt, wie wir in diesem Artikel sehen werden.

Deutschland ist einer der Vorreiter und weltweit führend bei der Entwicklung und Umsetzung von Strategien und Vorschriften zur Förderung des nachhaltigen Bauens, sowie bei Innovation und Forschung auf diesem Gebiet. Es gibt zahlreiche Zertifikate innerhalb und außerhalb Europas, die Nachhaltigkeit in der Architektur in unterschiedlichen Kategorien bescheinigen. Die meisten der bestehenden Zertifizierungen haben einen privaten Ursprung, was eine Integration in die öffentlichen Standards der Staaten erschwert. Aus diesem Grund hat die Europäische Union im Jahr 2014 eine Studie zur Schaffung eines gemeinsamen Zertifizierungssystems für Nichtwohngebäude und öffentliche Gebäude durchgeführt. Ziel der Studie war es, eine einheitliche Zertifizierung für die Europäische Union vorzuschlagen und nach Möglichkeiten zu suchen, Energieeffizienzzertifikate im Hinblick auf Konsistenz, Nützlichkeit, Zugänglichkeit und Genauigkeit zu verbessern und zu standardisieren. Obwohl es nicht möglich war, Fortschritte bei einem gemeinsamen europäischen Zertifikat zu erzielen, ermöglichte uns die Studie einen klareren Überblick über die verschiedenen Arten von Zertifizierungen und den Fokus, den sie auf die einzelnen Zertifizierungen legen.

Das Dokument klassifiziert die wichtigsten globalen Zertifizierungen je nach Markterfolg in drei Gruppen: hoch, mittel und niedrig. Zu den Zertifizierungen mit hohem Markterfolg zählen im internationalen Bereich die LEED-Zertifizierung (USA, 1993) und die BREEAM-Zertifizierung (Großbritannien, 1990). Im europäischen Bereich gibt es eine große Vielfalt an Zertifizierungen, von denen sich PassivHaus (Deutschland, 1988), HQE (Frankreich, 1992), Minergie (Schweiz, 1998) mit hohem Markterfolg sowie GREEN (Spanien, 2007), obwohl Letzteres in der EU-Studie mit geringeren Markterfolgs gewertet wurde. Zu den bisherigen Zertifizierungen, kommt noch einer der am weitesten im deutschsprachiger Raum verbreitete Zertifizierungen, die DGNB-Zertifizierung (2007) der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen,  mit der wir uns in diesem Artikel befassen. 

Das DGNB-Zertifizierungssystem für Gebäudenachhaltigkeit ist ein Instrument zur Bewertung der ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Leistung von Gebäuden, von der Planung bis zur Nutzung und Wartung. Ziel dieser Zertifizierung ist die Förderung einer Architektur, die zu einer nachhaltigen Entwicklung beiträgt und die negativen Auswirkungen von Gebäuden auf die Umwelt und die Gesundheit der Menschen verringert.

Das DGNB-System basiert auf einem ganzheitlichen Nachhaltigkeitskonzept, das Aspekte wie Umweltqualität, Energieeffizienz, Nutzerkomfort und -sicherheit, Funktionalität und Anpassungsfähigkeit von Räumen, Barrierefreiheit, technische Qualität sowie konstruktive und wirtschaftliche Tragfähigkeit über den gesamten Lebenszyklus des Gebäudes hinweg berücksichtigt. Dieser ganzheitliche Aspekt unterscheidet es von den anderen oben genannten Zertifizierungssystemen, insbesondere von den älteren, die hauptsächlich die ökologische Nachhaltigkeit eines Gebäudes bewerten und nicht Aspekte, die eher mit Benutzerfreundlichkeit und Komfort zusammenhängen (mit Ausnahme des WELL-Systems (USA, 2014), das sich genau darauf konzentriert). die Gesundheit und das Wohlbefinden der Bewohner sowie die spanische VERDE-Zertifizierung, die einen Abschnitt zur Bewertung sozialer Aspekte enthält).

Um die DGNB-Zertifizierung zu erhalten, muss das Gebäude Mindestanforderungen erfüllen und eine Gesamtpunktzahl gemäß den Kriterien erreichen, die von der Stelle festgelegt wurden, die dieses System entwickelt und verwaltet. Das Gütesiegel für nachhaltiges Bauen wird in den Qualitätsstufen Platin, Gold, Silber und Bronze in Abhängigkeit von der erreichten Prozentzahl der Parameter verliehen, die eine bestimmte Nachhaltigkeitskategorie definieren.

Es eröffnet auch die Möglichkeit, sich an technische und gesellschaftliche Veränderungen anzupassen; im Fall der Barrierefreiheit bedeutet dies beispielsweise, dass die notwendigen Voraussetzungen für eine umfassendere Umsetzung der Barrierefreiheit im Bedarfsfall (was erst bei der Einstellung eines Mitarbeiters mit besonderen Bedürfnissen zutrifft) gegeben sind; Dabei werden auch länderspezifische Unterschiede wie klimatische Bedingungen oder rechtliche und bauliche Anforderungen in die Bewertung einbezogen

In Zusammenarbeit mit Nichtregierungs- und Non-Profit-Organisationen im Ausland wird das DGNB-Zertifizierungssystem an die Anforderungen verschiedener Regionen der Welt angepasst. Der Verband stellt jedoch für alle Länder eine internationalisierte Version des DGNB-Systems zur Verfügung, die eine weltweite Zertifizierung ohne große Anpassungen ermöglicht und auf aktuellen europäischen Normen und Standards basiert.

Dabei ist zu beachten, dass es in Deutschland zwar zwei in der Branche relevante Qualifikationssysteme gibt (DGNB und PassiVHaus), diese jedoch mit anderen internationalen Zertifizierungen, insbesondere LEED und BREEAM, koexistieren. Wie wählt man angesichts der Vielfalt der verfügbaren Standards und Zertifizierungsmöglichkeiten das am besten geeignete System aus? Die Antwort hängt von den spezifischen Merkmalen jedes Projekts ab. Es ist wichtig zu berücksichtigen, dass jedes Projekt, jeder Kunde und jeder Investor unterschiedliche Prioritäten und Bedürfnisse hat. Beispielsweise entscheiden sich internationale Akteure in der Regel für internationale Standards, um ihre Gebäude in verschiedenen Ländern nach denselben Kriterien zu bauen und zu bewerten. Unternehmen, die auf nationaler Ebene agieren, orientieren sich in der Regel an einem nationalen Standard, in diesem Fall dem deutschen. Diese Entscheidungen reagieren auf die von den Endkunden definierten Strategien.

Angesichts der aktuellen Vielfalt an Zertifizierungssystemen ist es interessant, dass die Kriterien für diese Zertifikate wie bei der DGNB umgesetzt und erweitert werden, da dies einen direkten Einfluss auf die Qualität der bewerteten Aspekte im Gebäude und am Gebäude hat. Gleichzeitig ist es ein Instrument, das bestehende Vorschriften ergänzt, da es eine gewisse Differenzierung schafft und Exzellenz überprüft. Wenn sich die Zertifizierungen nach und nach weiter ausbreiten, könnte es im Idealfall dazu kommen, dass herausragende Leistungen im nachhaltigen Bauen zum Standard und nicht zur Ausnahme werden.


Artikel für den Blog der Auslandskorrespondenten der Architektenkammer Katalonien (COAC) Mai 2023